Freier Wille vs …. ja was eigentlich ?

Wenn es um den freien Willen geht, steht dem gegenüber immer das Schicksal oder die Vorbestimmung. Entweder ich kann frei entscheiden, was ich mache, oder alles was geschieht ist vorbestimmt und entweder die Folge von  unendlichen aneinander gereihten Zufällen oder aber dem planvollen Handeln eines großen Bestimmers. Gott sozusagen.

Wenn wir hoffen / denken / glauben, dass wir einen freien Willen besitzen und somit sozusagen der Schmied unseres eigenen Schicksals sind, so stellt sich zu erst die Frage. Wie frei ist eigentlich frei.  Wir sind in unserem Denken schon mal darin eingeschränkt, dass wir immer in einer Sprache oder in bestimmtem Umfang in Abstraktionen denken können.   Außerdem ist unser Handlungs- und Vorstellungs-Vermögen immer durch unseren Erfahrungs- und Vorstellungs-Horizont beschränkt.  Etwas, das ich mir nicht mal vorstellen kann, dazu kann ich mich auch nicht entscheiden.

Das was wir Frei nennen, ist also in jedem Fall gewissen Grenzen unterworfen.

Also bleibt die Frage, ob wir „relativ“ frei entscheiden können.

Dabei stellt sich zu allererst die Frage:  Wer oder was sind wir eigentlich ?  bzw. wer oder was bin ich ?

Wenn ich mein selbst als metaphysische Entität verstehe, also als Etwas, dass unabhängig von der körperlichen Erscheinungsform existiert und Entscheidungen treffen kann, dann stellt sich die Frage, warum „mein Körper“ so oft Sachen macht, die ich eigentlich anders machen würde.  Gewicht, Sport, Freizeitgestaltung, Demenz, Tourette-Syndrom.

Wenn ich mich dagegen als physische Gesamtheit verstehe.  Dann gibt es da auf jeden Fall eine gewisse Zweiteilung.  Zum Einen, gibt es ein Ich, dass die Kontrolle über bestimmte Aspekte der physischen Erscheinung hat.  Ich kann mich z.B.  jetzt dazu entscheiden, die Arme hoch zu reißen.  Ich kann mich auf der anderen Seite nicht dazu entscheiden mal einen Herzschlag nicht zu machen. Luft anhalten geht, aber auch nur in gewissen Grenzen.

Mir persönlich fällt es schwer, mich als rein metaphysische Entität wahrzunehmen. Zumal sich dann auch die Frage der Interaktion stellt. Wie kann ich dem Körper mitteilen, was ich machen möchte, ohne selbst Bestandteil des Körpers zu sein?

Die Frage nach dem freien Willen setzt also eine Beschreibung des davon betroffenen Ichs voraus.

Nehmen wir mal mich, also den Menschen  David Rittinghaus.  Da können wir den Begriff  „Frei“ schon mal nicht uneingeschränkt anwenden.  Es gibt immer wieder Sachen, die mir passieren, anstatt von mir ausgelöst zu werden.  Selbst wenn wir die Einschränkungen durch die Umgebung und die Gesamtsituation außen vor lassen.  Ich verhasple mich beim Sprechen. Ich versuche einen zugeworfenen Ball zu fangen und versemmel das in fast schon komödiantischer Weise. Ich möchte eine Antwort auf eine Frage geben und merke mitten im Satz, dass ich da Unsinn rede.

Schränken wir also den Begriff  „Frei“ weiter ein, um wenigstens einen Hauch der Chance zu haben, dass wir ihn auf unseren Willen nachvollziehbar anwenden können.    Sagen wir also: Freier Wille bedeutet, dass David Rittinghaus die Fähigkeit hat, Entscheidungen zu treffen.

Wenn wir das so sagen, dann würde ich erwarten, dass diese Entscheidungen dann wenigstens frei von Beeinflussung sein sollten. Und auch hier sieht es wieder schlecht aus.  Werbung, Erziehung, persönliche Möglichkeiten und vieles mehr beeinflussen mich jeden Tag bei den Entscheidungen, die ich treffe.

Stellt sich also die Frage, wie viel Freiheit man aufgeben will, um noch von freiem Willen reden zu können.

Noch eine Kurzgeschichte

„Verdammter Mist“  Clarks Enttäuschung der letzten Monate brach in einer für seine Verhältnisse  gewaltigen Explosion aus ihm raus.  Er war kurz davor  sein Steuergerät gegen eine Wand zu werfen, fasste sich aber schnell genug wieder.  Ein Neues zu bauen hätte ihn wieder einen Monat zurückgeworfen.  Er hatte schon oft überlegt, es durch ein normales Tablett auszutauschen.  Das hätte aber nur unsinnigen Aggressionsausbrüchen Vorschub geleistet. Und die brachten ihn auch nicht weiter.  So stand er nun – wie so oft in letzter Zeit – in seiner Garage und starrte auf den Fleck, wo vor 2 Minuten noch der Apfel lag. Der gleiche Fleck, wo der Apfel seinen Berechnungen folgend schon seit einer Minute wieder liegen müsste.  Er hatte all seine Ersparnisse und knapp 10 Jahre seines Lebens geopfert für ein Ding, dass Äpfel verschwinden lassen kann. Die Nachbarstochter hatte sich das Gleiche mit weniger als einem Monat quengeln erarbeitet. Und im Gegensatz zu seiner Maschine gab ihr Pferd die Äpfel wenigstens  nach ner Weile wieder raus, wenn auch nicht in brauchbarer Form.  Aber alles wäre ihm lieber gewesen, als immer auf diesen leeren Fleck zu starren.

Zeitreisen! Er hatte sie gefunden, entwickelt und eine Maschine dafür gebaut.   Die Berechnungen waren elegant und 100 mal geprüft.   Nicht das es notwendig gewesen wäre.  Jeder Achtklässler, die Nachbarstochter und vielleicht ihr Pferd hätten die  Zahlen in die Formel einfügen und zu den richtigen Einstellungen kommen können.  Die Methode erlaubte es auch, negative Zahlen zu verwenden, das Reisen in die Vergangenheit war also auch möglich.  Selbst mit imaginären Zahlen gab ihm das System sinnvolle und oft sogar ganzzahlige Ergebnisse aus. Auch wenn Clark sich bisher nicht recht vorstellen konnte, was das zu bedeuten hatte.  Aber damit konnte er sich noch später beschäftigen. Alle Messungen waren eindeutig und zeigten, dass die Maschine genau entsprechend der eingegebenen Parameter funktionierte.  Und der verfluchte Apfel verschwand schließlich jedes mal in einem Wirbel von Licht, gefolgt von einem sich zu einem leichten Knall aufbauschenden Zischen. Ein beeindruckender Effekt für einen Zauberer.  Für jemanden der eine Zeitmaschine entwickelt und selbst gebaut hat, war das als Endergebnis aber eher unbefriedigend.

Die Experimente mit der Vergangenheit sahen nicht viel anders aus. Nur das das Starren auf deinen leeren Fleck  vor dem eigentlichen Experiment begann und mit jeder verstreichenden Sekunde die Unsicherheit erhöhte.  „Ist etwas schief gegangen?“ „Ist etwas dazwischen gekommen?“ „Hat es Verzögerungen gegeben?“   In der Vergangenheitsform über die Zukunft zu denken wirkte mittlerweile vollkommen natürlich für Clark.

Er hatte sich in Folge einer besonders frustrierenden Serie von Vergangenheits-Experimenten, bei denen ihn Susan immer wieder wegen irgendwelchen dummen Sternschnuppen nervte, mal eine Auszeit von seinen Experimenten genommen.  Dazu hatte er sich abends zu Susan gesetzt und mit ihr zusammen auf Sternschnuppen gewartet. Dabei hatte er sich über die vielfältigen Auswirkungen seiner Entdeckung Gedanken gemacht. Dies führte unter anderem zu der Einsicht, dass es am einfachsten war, die Zeit immer relativ zum Betroffenen zu sehen. Somit sparte man sich neue Zeitformen, wie Douglas Adams sie einst spaßeshalber einführte. Selbst wenn man anfangs vielleicht ab und zu überlegen musste, wer grade eigentlich der Betroffene war. Jedenfalls machte es die Enttäuschung jedes mal noch größer, wenn er nach  vergeblichem Warten, dann doch das Experiment durchführte und alles wie vorgesehen funktionierte.

Er hatte auch schon Stunden und Tage, ja sogar Jahre ausprobiert. All dies war problemlos möglich und kostete auch nicht nennenswert mehr Energie. Es kostete natürlich „etwas“ mehr und genau dieses vorberechnete Etwas fand sich auch in seinen Instrumenten.  Auch 10 und 5 Sekunden hatte er probiert, darunter zu gehen machte keinen Sinn. Der Vorgang dauerte selbst ca 3 Sekunden und das eine Mal, bei dem er 0 Sekunden eingab, kullerte der Apfel nur stumpf vom Tisch nachdem das Leuchten verschwunden war.

Inzwischen war er mit seinem Latein am Ende.  Gut, mit Latein hatte Clark es zugegebenerweise nie.  Aber wirklich weiter kam er dennoch nicht.  Anfangs hatte er noch bei jedem Experiment darauf gewartet, dass eine ältere Version von ihm selbst oder ein anderer Zeitreisender in den Raum tritt und applaudiert oder ihm wenigstens für das Geschaffte gratuliert.  Nichts von dem war je passiert. Vielleicht lag es ja daran, dass er es einfach noch nicht selbst getan hatte.  Kurzentschlossen rückte er den Tisch bei Seite und gab die Parameter in sein Steuergerät ein:   Ein Würfel mit 2 Meter Kantenlänge beginnend am Boden, wo grade noch der Tisch stand.  Zeitspanne = -2 Minuten. Countdown = 5 Minuten. Start!

Die Zeit verging beinahe quälend langsam. Träge schleppten sich die Sekunden dahin. 4:50.  Clark rechnete nicht damit, sich selbst gleich im Raum erscheinen zu sehen. Es war mehr eine Mischung aus Neugier und Verzweiflung. 4:40.  Welche andere Methode, um neue Erkenntnisse zu gewinnen, sollte es hier noch geben? Irgendwohin verschwanden alle Sachen und Lebewesen, auf die er die Maschine anwendete. Und er wollte endlich wissen wohin.  4:30. Warum hatte er den verdammten Countdown auf 5 Minuten gestellt?  So würde das ja noch ewig dauern.  4:25. Clark überlegte kurz, ob er irgendwelche Vorsichtsmaßnahmen ergreifen sollte, aber bei dem was er grade vor hatte, wäre es lächerlich gewesen, sich irgendwie schützen zu wollen. 4:15.  Es war ein buchstäbliches Himmelfahrtskommando und dessen war sich Clark auch vollkommen bewusst.  4:10.  Wenn die Zeit noch langsamer verlief, würden die Uhren rückwärts gehen.  4 Minuten!  Noch 2 Minuten bis ganz sicher nichts geschehen würde, so wie immer.  Noch 1:50 bis in dem von Ihm festgelegten Bereich kein Clark auftauchen würde, um ihn freudestrahlend in die Arme zu schließen.   Noch 1:40 bis er wieder die ihm so vertraut gewordene Enttäuschung spüren würde. Noch 1:30.  1:29.  1:28. 27. 26. 25. 25. Immer noch verdammte 25. Diese Sekunde hatte es wirklich auf ihn abgesehen und hatte anscheinend vor, ihn für alle Ewigkeit zu begleiten. Das tat sie dann aber glücklicherweise doch nicht. Clark versuchte sich zu entspannen und sah nicht mehr auf die Uhr. Sich selbst verrückt zu machen, brachte ihn nun auch nicht weiter. Leicht gesagt! Er war schließlich grade dabei, sein Leben für seine Entdeckung zu riskieren.  Dafür, vielleicht eine Erkenntnis zu gewinnen, die ihm Aufschluss darüber gab, was die ganze Zeit schief lief. Irgendein kleiner Hinweis. Ein stoß in die richtige Richtung. Den Rest würde er schon machen.

Die Zeit war um.  2 Minuten bis zur Aktivierung der Zeitmaschine.  Und nichts geschah.   Natürlich nicht.  Warum sollte es diesmal auch anders sein.

Wobei eigentlich eine ganze Menge passierte. Allerdings bekam davon nur ein Clark etwas mit. Nämlich der Clark, der erst umgeben von schimmernden Lichtern auf einmal in der kalten Dunkelheit des Alls landete.  Dort nahm er neben dem überwältigendem Dröhnen der unendlichen und absoluten Stille in weiter Ferne einen kleinen Kreis wahr, der aber stetig größer wurde. Clark dachte immer, das man, ins All gestoßen, innerhalb von wenigen Sekunden tot sei. Da er seit Beginn seiner „Reise“ die Luft anhielt und angesichts der neuen Umgebung auch nicht damit aufzuhören gedachte, merkte er deutlich, dass dem scheinbar nicht so war. Dennoch blieb ihm nicht lange,  soviel war sicher.

Er war hier heraus gekommen, um zu verstehen, was mit seiner Maschine falsch war, selbst wenn es das Letzte wär, das er tat.  Es würde das Letzte sein, was er tat! Also hatte Clark noch eine Aufgabe zu erfüllen, und vielleicht hatte er ja Glück und würde genug Informationen zusammenbekommen, um eine Theorie zu entwickeln.

Der größer werdende Kreis war wohl die Erde, auf die er sich in scheinbar grader Linie  zu bewegte.  Die Wachstumsrate würde in den nächsten 1-2 Minuten dafür sorgen, dass die Erde sein gesamtes Sichtfeld ausfüllte. Mit anderen Worten würde er sie dann erreicht haben und letztendlich in der Atmosphäre verglühen. Keine schöne Aussicht. In diesem Moment wurde Clark allerdings klar, dass nicht er sich auf die Erde zu bewegte, sondern anders rum.  Und damit war ihm auch klar, was das zu bedeuten hatte. Zeit und Raum waren zwar untrennbar mit einander verbunden. Allerdings war die Zeit überall im Raum gültig. Und wenn  seine Maschine etwas in der Zeit bewegte, dann passierte das ohne das Zeit-Analog von Trägheit oder Beschleunigung. Und fatalerweise ohne die Position im Raum zu verändern. So schwebte er nun an genau der Stelle im Raum, wo er kurz zuvor noch in das Feld getreten war.

Die Erde, hat allerdings nicht die Möglichkeit still zu halten und dreht sich zum einen mit über 1.000 km in der Stunde um sich selbst. Wobei das nichts ist gegen die 100.000km in der Stunde die sie bei ihrer Reise um die Sonne durchschnittlich zurücklegt.  Und dabei sehen wir von den gut 1.000.000km in der Stunde ab, die die Sonne inklusive des ganzen Sonnensystems auf ihrem Weg um das Zentrum der Milchstraße zurücklegt. Und so weiter.

Clark kannte natürlich nicht die genauen Zahlen. Aber er verstand es und konnte sich somit erklären, wo er war und das er nun das Schicksal mit vielen von seinen Experimenten teilte. Das  allein reichte schon, um ihn mit einer gewissen Zufriedenheit zu erfüllen.

Als Clark nur wenig später- erfüllt von Entschlossenheit und unbändiger Neugier – in den Transportbereich der Maschine tritt, hört er noch von  Susan den Ruf: „Hey Clark, schau mal. Heute ist eine besonders große Sternschnuppe am Himmel. Das muss ein Meteor sein, oder wie man das nennt“